Die Entwicklung der schwedischen Hauptstadt Stockholm verlief anders als die der dänischen: Stockholm blieb unbefestigt, aber die Regierung unterwarf die Vorstädte im Norden und Süden rigorosen Flächensanierungen. Zusammen mit Schwedens Aufstieg zur europäischen Großmacht erlebte seine Hauptstadt stürmisches Wachstum, das sich bis um 1635 ohne stadtplanerische Lenkung vollzog. Die mittelalterliche Stadt befand sich auf einer Insel im Mälarsee Stadsholmen (Abbildung 1, Norden ist unten) –, bis zum Ende des 16. Jahrhunderts noch mit Mauern und Türmen umgeben. Für die Aufnahme einer wachsenden Bevölkerung war die Insel zu klein, daher entstanden die Vorstädte im Norden und Süden, Norrmalm und Södermalm. In beiden war die Bebauung ungeregelt gewachsen, entsprechend dem hügeligen und felsigen Gelände standen kleine Holzhäuser in engen und krummen Gassen. Vom Bild der Hauptstadt einer europäischen Großmacht war Stockholm weit entfernt.
Als Axel Oxenstierna, der als Kanzler nach dem Tod Gutstav II. Adolf die Regierungsgeschäfte führte, 1636 vom Kriegsschauplatz in Deutschland zurückkehrte, sorgte er für die Durchsetzung einer städtebaulichen Modernisierung Stockholms und seiner Vorstädte. Der Beschluss der Regierung, die Vorstadt Norrmalm nach den Plänen Gustavs II. Adolf zu regulieren, wurde von 1637 bis 1644 konsequent durchgesetzt. Es handelt sich um eine erste große Flächensanierung der Neuzeit. Norrmalm wurde vermessen, das gesamte Land vorübergehend enteignet, mit einem rechtwinkligen Straßennetz versehen und dann in neuer Aufteilung zur Bebauung an die Bürger abgegeben. Regelhafte Straßenführung hatte Vorrang vor Naturgeographie Sandhügel wurden abgetragen und planiert, nur Felsen mussten stehen bleiben.
Der Stadtplan von 1648 (Abbildung 2) zeigt die sanierte Vorstadt Norrmalm und östlich daran anschließend das ebenfalls mit rechtwinkligen Baublöcken erschlossene Neubaugebiet Östermalm. Westlich wurde auf der Insel Kungsholmen ein weiteres Baugebiet bereit gestellt, das über einen Damm feste Verbindung mit Norrmalm erhielt. In der südlichen Vorstadt Södermalm wurden die Sanierungen etwas später nach gleichem Muster durchgesetzt; sie waren 1648 abgeschlossen. Allerdings verhinderten Felsen auf dem Plan dunkel gekennzeichnet ein völlig einheitliches Straßengitter.
Ein Detailplan für Norrmalm aus dem Jahr 1640 (Abbildung 3) belegt das Bestreben, die Natur der Disziplin geometrischer Regelhaftigkeit zu unterwerfen: so weit wie möglich werden die rechtwinkligen Straßengitter an den länglichen Hügel heran geschoben. Ein früherer Plan für den westlichen Teil von Norrmalm (Abbildung 4, Norden ist links) stellt zugleich die älteren Straßen und Wege dar, die mitsamt ihrer Bebauung den regelmäßigen Baublöcken weichen mussten, hier wurden die älteren Siedlungsformen rigoros diszipliniert. Ansatzweise wurde später auch eine Befestigung geplant, wie einem Detailplan für das nordöstliche Norrmalm zu entnehmen ist (Abbildung 5).
Die sanierten Stadtteile erhielten jeder für sich rechtwinklige Straßennetze, die voneinander um 20 bis 30 Grad abknickten. War das Zufall oder planerische Absicht? Letzteres ist die interessante Hypothese Marianne Råbergs, nach der die äußeren Stadtgrenzen ein Mehreck, wahrscheinlich ein Zwölfeck andeuten, das möglicherweise Gegenstand eines radialen Gesamtplans war. Ein solcher Plan ist freilich nicht überliefert.
Das erweiterte Stockholm wurde nicht befestigt. Ob es Pläne für die gesamte Stadt gab, ist zweifelhaft. Abgesehen von fehlenden Finanzmitteln konnte das starke schwedische Heer einen Verzicht auf weitläufige Festungsanlagen nahelegen, da es Sicherheit vor Angreifern schon im Vorfeld garantierte. Dennoch lässt sich hypothetisch, wie eine Projektion Marianne Råbergs des erschlossenen Idealstadtplans auf eine moderne Karte zeigt, ein Befestigungsgürtel denken (Abbildung 6). Bei aller Vorsicht darf zumindest eine Option für spätere Befestigung als möglich gelten. Außer Zweifel steht hingegen, dass Stockholm durch staatliche Planung nach den Prinzipien der Idealstadt in eine moderne Hauptstadt verwandelt wurde, die sich in Europa sehen lassen konnte.
Kersten Krüger