Einleitung

Die verlorene Einheit des Ostseeraums gilt es im 21. Jahrhundert wieder zu gewinnen. Dazu kann der historische Rückblick auf Epochen beitragen, als die Ostsee mit ihren Anliegern einen einheitlichen Wirtschafts-, Aktions- und Kulturraum bildete. Besondere Beachtung verdient der letzte Abschnitt dieser Einheit, als die schwedische Großmacht durch gezielte Urbanisierungspolitik eine gesellschaftliche Modernisierung in Gang setzte. Das bestehende Städtesystem wandelte sich durch diesen als Europäisierung verstandenen Prozess ebenso wie durch militärische Erfordernisse der Großmacht. Festungsbau und Garnisonen traten als Standortfaktoren zur Wirtschaft hinzu. Es ist zu vermuten, dass die damit einher gehende Vereinheitlichung der Baugestalt auch im Bewusstsein der Bürger und Einwohner Spuren hinterließ.

Ziel dieses Teils des Portals ist die Vermittlung von historischen Grundinformationen über Ostseeküstenstädte, vorrangig im 17. und 18. Jahrhundert. Es werden Informationen zur politischen Zugehörigkeit, zur Entwicklung der Einwohnerzahlen sowie ausgewähltes Bildmaterial – insbesondere zum Städtebau des 17. Jahrhunderts – geboten.

Geschichte und Zukunft
(Kersten Krüger)

Wasser trennt nicht, Wasser verbindet. Diese Erfahrung und Weisheit machte die Ostsee für Jahrhunderte zu einem Schnellverkehrsweg, der das Baltikum zu einem einheitlichen Aktionsraum für Wirtschaft, Kultur und Politik werden ließ. Siedlungskammern, Regionen und Landschaften fanden ihre natürlichen Grenzen in den umgebenden unwegsamen Wäldern, während Gewässer Kommunikation und Interaktion ermöglichten. Erst die Moderne – als auf Kunststraßen und Eisenbahnen schnellerer Verkehr floss – erlaubte es, Gewässer als natürliche Grenzen zu definieren und zu handhaben. Schließlich zerstörten die konkurrierenden Nationalbewegungen und die ihnen folgenden Nationalstaaten des 19. und 20. Jahrhunderts die Einheit des Ostseeraums, indem sie ihn politisch und wirtschaftlich zerstückelten. Die Konfrontation der Großmachtblöcke machte unter den Bedingungen des Kalten Krieges sogar große Teile der Ostsee zum Mare clausum. Erst seit Ausgang des 20. Jahrhunderts besteht wieder Hoffnung auf Wiedergewinnung der verlorenen Einheit des Ostseeraums, die zu gestalten das 21. Jahrhundert aufgerufen ist. In vorchristlicher Zeit waren die militärischen wie kommerziellen Aktivitäten der Wikinger von den skandinavischen, zum Teil auch slawischen Bauerngesellschaften getragen. Nur an wenigen Stellen entwickelten sich stadtähnliche Siedlungen für den Austausch im Fernhandel wie Haithabu, Birka (am Mälarsee) oder Rerik (nachgewiesen in Groß Strömkendorf). Neue Dimensionen in Quantität und Qualität breiter wirtschaftlicher wie kultureller Interaktion erschloss die Hanse im Zuge der Christianisierung Nord- und Osteuropas und danach. Damit ging eine erste, noch weitmaschige Urbanisierung des Ostseeraums einher, die ein Netzwerk für seine Integration in das christliche Europa schuf und den Ländern des Baltikums einen umfassenden ersten Modernisierungsschub vermittelte. Die dadurch erstarkenden Monarchien steigerten ihre Macht in berühmten Unionen: der polnisch-litauischen von 1386 und der Kalmarer Union von 1397 und konnten sich erfolgreich gegen die Vorherrschaft der Hanse zur Wehr setzen. Denn die Hanse organisierte den Austausch in einem gebundenen, durch Privilegien gesicherten System ungleicher Chancen, das im Zusammenspiel der hansischen Konkurrenten – Niederländer und Engländer – mit den baltischen Staaten durch freien Handel abgelöst wurde. Dieser prägte die große Konjunktur des 16. und 17. Jahrhunderts. Wandel brachte im 17. Jahrhundert der Aufbau der schwedischen Ostseeherrschaft.

Die Kalmarer Union war mit Gustav Vasa 1523 zerbrochen und hatte Schwedens Aufstieg zur Großmacht eingeleitet. Außenpolitische Schwäche kennzeichnete das russische wie das polnische Reich ebenso wie das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Hier gewann Schweden Terrain, und wenn die Ostsee nicht zu einem schwedischen Mare clausum wurde, ist das der konkurrierenden Großmacht Dänemark zuzuschreiben. Schweden beließ es nicht bei der Etablierung maritimer wie militärischer Vorherrschaft, sondern setzte eine verdichtende Urbanisierung in Gang, welche die Ziele wirtschaftlicher Modernisierung und militärischer Sicherheit verband. Die schwedische Krone ließ in Schweden und Finnland von 1580 bis 1688 nicht weniger als 31 neue Städte gründen wie etwa Helsingfors/Helsinki oder Karlskrona – gegenüber 61 bestehenden. Daneben wurden ältere Städte wie Landskrona, Reval, Stettin, Stralsund und Wismar befestigt. Neue Funktionen der betroffenen Städte brachte nicht nur bauliche Veränderungen mit sich, sondern auch tief greifenden wirtschaftlichen und sozialen Wandel: die Wirtschaft hatte sich in die Großmachtinteressen einzufügen, und das einziehende Militär- und Verwaltungspersonal beanspruchte die Rolle einer tonangebende Gruppe. Dabei blieb die Einheit des Ostseeraums im wesentlichen erhalten, auch als nach dem Großen Nordischen Krieg Schweden viele seiner Besitzungen und damit die Rolle als Großmacht einbüßte. Das zur Ostseemacht aufgestiegene Russland ging mit seinen Neuerwerbungen vorsichtig um. Zwar änderte sich hier die Obrigkeit, aber die überkommenen inneren Strukturen wie die äußeren Beziehungen blieben unberührt. Das galt auch noch für Finnland, als es 1809 von Schweden an das Zarenreich kam. Erst die späteren Nationalbewegungen verengten die Horizonte, indem sie im Interesse eigener Identität nicht nur die Abgrenzung von anderen Völkern vollzogen, sondern auch Grenzen, selbst auf dem Wasser errichteten. Das Bedürfnis möglichst wenig durchlässiger Grenzen zerstörte die Einheit des baltischen Aktionsraums mit seiner Freiheit von Handel, Wandel, Kultur und Politik. Chancen für die Zukunft ergaben sich daraus eigentlich nicht, eher im Gegenteil. Erst das 21. Jahrhundert kann hier Wandel schaffen.